Abgesehen von einer größeren Zahl prähistorischer Fundstellen im Gebiet der Gemarkung Steinkirchen, von denen einige überregionale Bedeutung in der Forschung erlangten, begegnen uns Zeugen der römischen Kaiserzeit sowie des älteren und hohen Mittelalters, von denen jene des älteren Mittelalters (9./10. Jahrhundert) bezüglich der Ortsgeschichte den wichtigsten Teil einnehmen.
Das in den dreißiger oder vierziger Jahren des 3. Jahrhunderts aufgegebene römische Kleinkastell spielt auch im älteren Mittelalter eine Rolle, denn der Platz des heutigen Steinkirchen wird nach derzeitigem Kenntnisstand etwa 700 Jahre nach dem Ende römischer Präsenz erneut aufgesucht und die damals im Gelände offensichtlich noch kenntlichen Gräben der Umwehrung des ehemaligen Kastells in eine neue, sehr aufwändig gestaltete Befestigung einbezogen. Insgesamt drei bogenförmig verlaufende Gräben riegeln auf einer Länge von etwa 300 m einen knapp 3 ha messenden Geländesporn mit dem alten Ortskern von Steinkirchen zwischen Hochterrassenrand und einem seichten Tälchen am Ostrand des Dorfes ab. Der mittlere Graben wird zusätzlich von einer Trockenmauer begleitet. Da die abgeriegelte Fläche durch Überbauung und Abgrabungen erheblich zerstört ist, gibt es keine Kenntnis über Siedlungsstrukturen innerhalb der Befestigung. Die gesamte Anlage ist heute nur noch an Bodenwellen im Acker erkennbar.
In einer Grabung auf dem Bauplatz des Feuerwehrhauses konnten 1987 die beiden äußeren Gräben der Befestigung erfasst werden, zusätzlich auch noch eine Grabenunterbrechung, hinter der größere Pfostengruben auf ein hölzernes Tor hinweisen. Im Spitzgraben, der noch eine Breite von 5 m und eine Tiefe von ca. 2 m aufwies, lagen auffallend viele Bruchsteine, die von den überlieferten Steinfundamenten stammen müssen.
Das Grabensystem ist aus sich selbst heraus nicht sicher zu datieren, da einschlägiges Fundmaterial fehlt. Der zeitliche Ansatz für das 10. Jahrhundert erfolgt in Anlehnung an ähnliche Denkmäler wie etwa bei Moos-Burgstall, Aholming-Schwarzwöhr oder Oberpöring-Bürg. Eindeutige Belege für diese Zeitstellung sind an den jeweiligen Plätzen bis jetzt allerdings nicht zu erbringen, doch dürfte eine Zuordnung vor das Hochmittelalter nicht anzuzweifeln sein. Anlagen dieser Dimension und Ausprägung werden gerne – meist aber unbewiesen – als Fluchtburgen der „Ungarnzeit“, eben der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts angesehen, als die Ungarn u.a. Südbayern in Angst und Schrecken versetzten und den Raubzügen erst nach der Schlacht auf dem Lechfeld 955 ein Ende bereitet werden konnte.
Es sollten zehn Jahre seit der Grabung am Standort des Feuerwehrhauses vergehen, bis sich ganz überraschend neue Interpretationsansätze für die Funktion der Befestigung durch die Untersuchungen in der Kirche St. Maria Magdalena im Zuge der Innenrenovierung ergaben. Dabei erregte der älteste entdeckte Befund, eine vor 1000 entstandene kleine Saalkirche (24 m2) mit Rechteckchor, besondere Aufmerksamkeit.
Ganz wichtig ist auch die Tatsache, dass zur ältesten Kirche ein Bestattungsplatz gehörte. Bei der Außensanierung von 1981 und bei den erneuten Fundamentfreilegungen von 1998 kamen menschliche Skelettreste, darunter ein geostetes Skelett unter dem heutigen Eingangsbau im Westen, zutage. Allem Anschein nach steht die Kirche im Bereich eines Gräberfeldes, dessen Zeitstellung zwar mangels einschlägigen Fundmaterials nicht sicher anzugeben ist, eine Belegung etwa ab dem 8. Jahrhundert aber möglich erscheint. Hinzu kommen noch Feststellungen von Hanns Neubauer, der vor dem Zweiten Weltkrieg unmittelbar westlich der Kirche drei oder vier geostete beigabenlose Gräber entdeckt hatte.
Die Abschnittsbefestigung bedarf in Verbindung mit der ältesten Kirche einer ganz anderen Betrachtung als bisher, denn zweifellos besteht eine Verbindung zwischen Sakralbau und Befestigung. Ganz wichtig ist die Existenz eines Friedhofes noch unbekannter Größe, der sich zur „Urkirche“ orientiert und eine ständig hier lebende Bevölkerung beweist. Die Kombination von Befestigung, Kirche und Bestattungsplatz dürfte nicht mehr daran zweifeln lassen, dass wir es in Steinkirchen mit einem wie auch immer in seiner Bedeutung zu bewertenden Stützpunkt des Herzogs, später des Königs zu tun haben, dessen Anfänge durchaus im 8. Jahrhundert liegen können.
Literatur
- J. Pätzold, Die vor- und frühgeschichtlichen Geländedenkmäler Niederbayerns. Materialhefte zur Bayerischen Vorgeschichte Reihe B 2 (Kallmünz 1983) S. 77–78.
- P. Reinecke, Ein neues Kastell an der raetischen Donaugrenze (Steinkirchen, Bez. A. Deggendorf). Germania 14, 1930, S. 197–205.
- K. Schmotz, Römische und frühmittelalterliche Befunde aus Steinkirchen, Gde. Stephansposching, Lkr. Deggendorf. In: Ausgrabungen und Funde in Altbayern 1987/88. Katalog Gäubodenmuseum Straubing 13 (1988) S. 61–63.
- K. Schmotz, Die archäologische Untersuchung in der Kirche von Steinkirchen und ihre Folgen für die ältermittelalterliche Geschichte des Ortes. Deggendorfer Geschichtsblätter 19, 1998, S. 35–62.
- K. Schmotz, Neue Aspekte zur Siedlungsgeschichte des frühen und älteren Mittelalters im Landkreis Deggendorf. In: Ders. (Hrsg.), Vorträge des 19. Niederbayerischen Archäologentages (Rahden/Westf. 2001) S. 139–193, zu Steinkirchen S. 159–161.
- A. Boos/K. Schmotz, Befestigungen des frühen und älteren Mittelalters im ostbayerischen Donauraum. In: L. Husty/K. Schmotz (Hrsg.), Vorträge des 30. Niederbayerischen Archäologentages (Rahden/Westf. 2012) S. 147-225, zu Steinkirchen S. 185-187.
- K. Schmotz, Dr. Johannes Markstaller und das römische Steinkirchen. In: L. Husty/K. Schmotz (Hrsg.), Vorträge des 35. Niederbayerischen Archäologentages (Rahden/Westf. 2017) S. 323-356.