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Otzing – Lailling, Filialkirche St. Nikolaus

Das 868 erstmals urkundlich genannte Lailling war ursprünglich ein Pfarrsitz, der etwa im 11./12. Jahrhundert nach Plattling verlegt wurde. Die in der Urkunde überlieferte Schenkung an das Kloster Metten durch Ludwig den Deutschen umfasst 34 Tagwerk Ackerland und Wiesen und war bis dahin Lehen eines Egino. Wir haben es also mit Königsgut zu tun. Eine Kirche findet für das 9. Jahrhundert zwar keine Erwähnung, doch dürfte an deren Existenz nicht zu zweifeln sein.

Bis zum Beginn der Untersuchungen an der Kirche konnte man sich nur auf die Feststellungen des einschlägigen Kunstdenkmälerbandes stützen, der eine Anlage des 13. Jahrhunderts prognostiziert, von der noch der Turm mit dem Chor im Untergeschoss erhalten sei. Das Langhaus wäre demnach im 18. Jahrhundert neu gebaut worden. Aus der Spätgotik sei die um 1500 datierte Sakristei erhalten. 1908/09 hätte eine Renovierung stattgefunden, in deren Zusammenhang eine Erweiterung der Kirche durch Einbeziehung des westlich angebauten, im Halbkreis geschlossenen ehemaligen Seelenhauses erfolgte.

Als im November 1993 der Außenverputz entfernt worden war zeigte sich bereits, dass die Angaben im Kunstdenkmälerband nur teilweise richtig waren und revidiert werden mussten. Die damals an den Wänden erkannten und dokumentierten Befunde erfuhren wichtige Ergänzungen durch eine im Januar und Februar 1995 durchgeführte archäologische Untersuchung im Kircheninneren.

Bemerkenswert war die Entdeckung eines aus etwa 400, teilweise gestempelten Fliesen unterschiedlicher Form und Formats bestehenden Pflasters im Bereich des Gestühls. Es handelt sich hier um den größten jemals in Niederbayern entdeckten Bestand an gestempelten spätgotischen Bodenfliesen (Bearbeitung durch Werner Endres†).

Im westlichen Teil der Kirche konnten acht vollständige und Teile einer neunten Bestattung freigelegt werden, die sich zur Westwand des ältesten Baubestandes orientieren. Die dem hohen Mittelalter angehörenden Bestattungen wiesen, mit einer Ausnahme, gestreckte Rückenlage und genaue Ost-West-Ausrichtungen mit dem Kopf im Westen auf. Bei den acht weitgehend vollständig erhaltenen Skeletten handelt es sich um sieben Erwachsene und ein Kind (Bearbeitung des Skelettmaterial durch Peter Schröter).

Besondere Aufmerksamkeit wurde einer Hockerbestattung zuteil, die in diesem Milieu vollständig aus dem Rahmen fiel. Es handelte sich um einen linksseitiger Hocker (erwachsene Frau) mit stark zur Brust angezogenen Beinen. Das Skelett wies degenerative Veränderungen und Abbauerscheinungen auf. Beide Hüftgelenke zeigen starke Arthrose, die eine erhebliche Gehbehinderung wahrscheinlich macht, aus der sich die Hockerstellung und ein Buckel erklären lässt. Zur Fortbewegung hat die Frau ihre Arme in irgend einer Weise benützt, denn die Muskelansätze der Oberarmknochen sind ungewöhnlich kräftig entwickelt. Vielleicht saß sie auf einem Wägelchen und hat sich mit den Armen „vorwärts bewegt“. Jedenfalls wäre es möglich, dass man nach ihrem Tod die Beine nicht strecken konnte/wollte (mit einiger Gewaltanwendung wäre es vielleicht möglich gewesen) und sie daher in Hockstellung bestattete.

Der kleine Bevölkerungsausschnitt erinnert morphologisch stark an die frühmittelalterliche Reihengräberbevölkerung (6.-8. Jahrhundert) und unterscheidet sich deutlich von der spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Bevölkerung.

Aus den durch Bauuntersuchung und archäologischer Ausgrabung gewonnenen Befunden ließen sich sechs Bauperioden bestimmen:

1. Bauperiode

Als ältester Teil erwies sich ein aus kleinen, quaderähnlichen Bruchsteinen errichtetes Langhaus von etwa 7,20 x 10,40 m Außenabmessung und einer Wandstärke von etwa 80 cm. Die noch teilweise erhaltene östliche Giebelwand besitzt eine Breite von 55 cm. Der zugehörige Altarraum war archäologisch nicht nachzuweisen, doch dürfte er mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit rechteckig gewesen sein. Ein eingezogener Rechteckchor könnte etwa die Maße des heutigen spätgotischen Turmes besessen haben. Der Zugang lag an der Südseite, etwa 2,50 m von der Südwestecke entfernt. Möglicherweise war der älteste Baukörper unverputzt. Die Qualität des Mauerwerkes ließe dies durchaus zu.

Eine Datierung des ältesten nachweisbaren Baubestandes lässt sich mangels chronologisch relevanter Befunde nicht sicher vornehmen. Es spricht aber nichts dagegen, das 12. oder 13. Jahrhundert dafür in Anspruch zu nehmen. Aus dieser Zeit könnte auch der beim heutigen Zugang aufgestellte Taufstein stammen.

Wo sich die Fenster dieses spätromanischen Baues befanden, lässt sich nur erahnen. Befunde von Gewänden wurden an der Südseite sowie an der Ostseite oberhalb des rechten Seitenaltares entdeckt. Sie sind aber so schwer zu interpretieren, dass ein Rekonstruktionsversuch unterbleiben muss.

Hinweise auf einen durchaus möglichen vorromanischen Bau konnten nicht festgestellt werden.

2. Bauperiode

Der spätromanische Kirchenbau erfuhr während der späten Gotik eine Erweiterung nach Westen um etwa 5,3 m, wodurch eine Gesamtlänge von 15,70 m zustande kam. Für diese Erweiterung verwendete man Bruchsteine der abgetragenen spätromanischen Westwand, fügte aber auch Ziegel hinzu, sodass ein Mischmauerwerk entstand. Auch während der gotischen Bauperiode betrat man die Kirche von Süden, jetzt durch ein spitzbogiges Portal. Ob es gleichzeitig mit der Westerweiterung zum Turmbau kam, ist nicht sicher. Zweifellos gehört der Turm der späten Gotik an, was besonders durch die heutige Sakristeitüre mit rundstabigem Rahmenwerk sowie einem spitzbogigen Fenster an der Ostseite gesichert ist, doch können zwischen Westerweiterung und Turmbau durchaus einige Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte liegen. Obwohl eine Gleichzeitigkeit beider Bauteile nicht nachzuweisen ist, soll die spätgotische Bauperiode einheitlich dargestellt werden, um die Situation nicht weiter zu komplizieren. Es fällt auf, dass der Turm nicht mit den Langhauswänden fluchtet, sondern um etwa 4° nach Süden abweicht.

Durch die Errichtung des Turmes, der heute noch bis in eine Höhe von maximal 14,10 m im spätmittelalterlichen Zustand erhalten ist, entstand der Typ einer Chorturmkirche, wie sie im näheren Umkreis sonst nur noch in Niederpöring zu finden ist.

Wie bei der romanischen Kirche, so bestehen auch bei der gotischen Datierungsprobleme. Lediglich der etwas aufwändiger gestaltete Eingang zur Sakristei verweist auf die Spätgotik. Vielleicht geben die vielen mit der Jahreszahl 1470 gestempelten Bodenfliesen einen weiteren zeitlichen Anhaltspunkt. Sie konnten zwar nicht in primärer Lage angetroffen werden und auch ihre Herkunft aus der Kirche von Lailling darf nicht als bewiesen gelten, doch ist es kaum vorstellbar, dass spätgotische Bodenfliesen von woanders hergebracht wurden, um für alle unsichtbar unter dem Gestühl verlegt zu werden. Gehen wir also davon aus, dass die Bodenfliesen ursprünglich für die Laillinger Kirche hergestellt wurden, dann geben sie einen guten zeitlichen Anhalt für den Erweiterungsbau. Die dürftigen Hinweise auf spätgotische Fenster lassen wie bei der ältesten Bauperiode keine Rekonstruktion der Gesamtsituation zu. Der Turm war wegen des wenig qualitätvollen Baumaterials sicher verputzt, ebenso das wegen des Mischmauerwerks nicht mehr ansehnliche Langhaus.

3. Bauperiode

Ein Rätsel gibt die Sakristei auf. Lässt die an der Nordseite des Altarraumes vorhandene Tür auf die Existenz einer gleichzeitigen Sakristei schließen, so bestätigt sich dies durch den Befund am aufgehenden Mauerwerk nicht. Im Gegensatz zum Turm besteht nämlich die (zweiphasige) Sakristei einheitlich aus Ziegeln, nicht aus Bruchsteinen. Sie kann nur später, vielleicht zu Beginn des 16. Jahrhunderts angefügt worden sein.

4. Bauperiode

Das spätgotische Langhaus erfuhr mit einiger Wahrscheinlichkeit während des Barocks eine einschneidende Veränderung. Müssen wir vom 12./13. bis ins 17. Jahrhundert mit einer hölzernen Flachdecke rechnen, erfolgt im 18. Jahrhundert eine Erhöhung der Umfassungsmauern um 60 cm und die Einwölbung des Langhauses. Einen Hinweis auf die Bauzeit liefert eine Rötelinschrift an einem Balken im Dachstuhl über dem Langhaus. Sie nennt das Jahr 1720. Zwar beweist uns dieses Datum nicht zwingend eine Umbauphase, in Frage könnten auch Ausbesserungen am Dachstuhl kommen, doch ist die Annahme einer Neukonstruktion des Dachstuhles vertretbar.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgte im 18. Jahrhundert auch eine Änderung der Fenster. Es ist nicht recht vorstellbar, dass man sich mit den gotischen Fensteröffnungen zufrieden gab. Trotz einiger Erklärungsschwierigkeiten bei der chronologischen Zuordnung der heutigen Fenster aus dem Baubefund heraus (s. o.) müssen wir davon ausgehen, dass sie im Zuge der Baumaßnahme des 18. Jahrhunderts gestaltet wurden.

Etwa zur gleichen Zeit wie die Erhöhung und Einwölbung des Langhauses muss auch das westlich angebaute Seelenhaus entstanden sein. Aufgrund der Schriftquellen bleiben als Entstehungszeitraum die Jahre zwischen 1665 und 1723/24. Auch hier kann uns ein mittels Rötelinschrift in das Jahr 1718 datierter Balken des Dachstuhls bei der zeitlichen Zuordnung helfen. Dieses Datum würde sehr gut zu den wenigen schriftlichen Nachrichten passen.

Mit den erheblichen Veränderungen des 18. Jahrhunderts geht auch eine Verlegung des Zuganges in die Westwand einher.

5. Bauperiode

Etwa 150 Jahre blieb die Kirche unverändert, ehe man sich 1867 entschloss, den Turm zu erhöhen. Aus welchen Beweggründen heraus dies geschah, ist nicht ersichtlich. Spätestens bei dieser Baumaßnahme erhielt die Sakristei ihre heutige Form.

Rekonstruktionen der Bauperioden 4 und 5

6. Bauperiode

Ganz entscheidende Veränderungen brachte das frühe 20. Jahrhundert mit sich. 1908 erfolgte die Niederlegung der noch aus spätgotischer Zeit stammenden Westwand, der Teilabbruch des Seelenhauses und die Errichtung neuer Verbindungsmauern zwischen dem übriggebliebenen Halbrund des Seelenhauses und dem alten Langhaus. Dadurch entstand eine 18,30 m lange Kirche, die also 2,60 m länger war als die spätgotische. Die in der Verlängerung des Kirchenschiffes eingebauten Fenster orientieren sich in Form und Größe an jenen des Barocks.

Durch die zwischen 1993 und 1995 durchgeführten Bauuntersuchungen, ergänzt um eine archäologische Ausgrabung im Innern, zeigten erneut, dass wir die Geschichte der auf den ersten Blick wenig kompliziert erscheinenden Kirche in fast all ihren Facetten erkennen und dokumentieren konnten; nur wenige Fragen blieben unbeantwortet. Lailling ist ein schönes Beispiel dafür, welche Erkenntnisse in relativ kurzer Zeit gewonnen werden können.

Im Jahr 1997 beauftragte die Kreisarchäologie eine Vermessung des aktuellen Baubestands. In dieses Aufmaß wurden die am Baukörper und innerhalb der Kirche gesicherten und von Hand aufgemessenen Befunde eingepasst. Dies ermöglichte erstmals im Landkreis Deggendorf eine dreidimensionale Darstellung der einzelnen Bauperioden. Insgesamt gesehen handelt es sich bei der Kirche von Lailling um die am besten untersuchte, bearbeitete und dargestellte Dorfkirche in weitem Umkreis.

Literatur

  • Baugeschichte der Filialkirche St. Nikolaus in Lailling, Gde. Otzing. Deggendorfer Geschichtsbl. 18, 1997, S. 77-108
  • K. Schmotz, Vom Hochmittelalter ins 20. Jahrhundert. Die Baugeschichte der Filialkirche St. Nikolaus in Lailling, Gemeinde Otzing. Deggendorfer Geschichtsblätter 18, 1997, S. 77-108.
  • W. Endres, Verzierte Bodenfliesen des späten Mittelalters in Ostbayern I. In: K. Schmotz (Hrsg.), Vorträge des 17. Niederbayerischen Archäologentages (Rahden/Westf. 1999) S. 267-308, zu Lailling S. 284-288.
  • K. Böhm/K. Schmotz, Auf den Spuren früher Kirchen im niederbayerischen Gäu. Beiträge der Archäologie zur Geschichte mittelalterlicher Sakralbauten. In: K. Schmotz (Hrsg.), Vorträge des 14. Niederbayerischen Archäologentages (Espelkamp 1996) S. 283-296, zu Lailling S. 251-252.
  • K. Böhm/K. Schmotz, Archäologische und baugeschichtliche Untersuchungen an Sakralbauten in Niederbayern. In: K. Schmotz (Hrsg.), Vorträge des 22. Niederbayerischen Archäologentages (Rahden/Westf. 2004) S. 171-293, zu Lailling S. 199-200.
  • F. Eibl, Zur Kenntnis altbayerischer älter- bis spätmittelalterlicher Bestattungen in und um Kirchen. In: M. Chytráček/J. Michálek/M. M. Rind/K. Schmotz (Hrsg.), Archäologische Arbeitsgemeinschaft Ostbayern/West- und Südböhmen. 14. Treffen 23. bis 26. Juni 2004 in Heřmaň bei Písek (Rahden/Westf. 2005) S. 223-245, zu Lailling S. 232-233.
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